Höhenprofil Tag 2
Montag, 31. August 2020
Tag 2: Bremsendesaster
Rifugio Bertone - Cormayeur - Arvier - Villneuve - Rhêmes-Notre-Dame (Bus) - Rifugio Benevolo
Start: 8:30 Uhr - Stop: 16:45 Uhr - Kilometer: 55 km - Höhenmeter: +1000 hm / -1675 hm - Maximale Höhe: 2285 m - Schnitt: 13,8 km/h - Max: 53 km/h - Fahrzeit: 4:00 h
Mont Blanc zum Frühstück |
Abfahrt von der Rifugio Bertone (1950m) |
Rifugio Bertone (1950m) |
Der morgendliche Blick zum Himmel überstrahlt alles. Keine Wolke ist mehr zu sehen. Wir haben freien Blick zum Mont Blanc (4808 m), der sich scharf vor dem tiefblauen Himmel abhebt. Mit der aufgehenden Sonne entsteht eine wahre Bilderorgie. Die Stimmung könnte bestens sein. Ist sie allerdings nicht.
Trailhead mit Mont Blanc |
Trail nach Cormayeur |
Mein Radl verliert am Bremshebel für die hintere Bremse Öl. Eine Art Defekt, den ich noch nie hatte, und der mit Boardmitteln auch nicht zu lösen ist. Die Bremse ist eine Magura MT6 von 2012. Ist diese Bremse in Deutschland schon nicht allzu verbreitet, gibt es sie in einer abgelegenen Ecke von Italien vermutlich gar nicht. Ich befürchte, der Tourabbruch steht nahe.
Zunächst müssen wir mal runter vom Berg. Erste Anlaufstation ist natürlich Courmayeur (1230 m), wo es zumindest ein Radgeschäft geben sollte. Dort hinunter hat die Wandererfraktion allerdings einen fordernden S3-Trail gelegt. Mit nur einer Bremse praktisch unmöglich. Während Dirk den Weg fast vollständig fährt, schiebe ich den größten Teil. Erst auf der Piste kann ich wieder aufsteigen, muss aber alle paar Meter die verbliebene Bremse mit Wasser kühlen.
Cormayeur (1230m) mit Dente del Gigante |
Abfahrt nach Pré-Saint-Didier |
Der kleine Radlladen macht gerade auf. Ein Sammelsurium an Leihfahrädern lässt nichts Gutes erahnen. Als der Inhaber endlich Zeit für mich hat, ist die Sache auch schnell erledigt. Eine Scheibenbremse kann ich hier nicht reparieren oder tauschen. Weiter unten im Tal Richtung Aosta würden wir in Arvier einen größeren Laden finden. Da das sowieso unsere Richtung ist, stört das nicht weiter. Die Suche nach Wegen abseits der Straße spare ich mir allerdings. Es gibt jetzt Wichtigeres.
In Arvier (750 m) finden wir kein Radgeschäft. Auch nicht dort, wo es laut Karte sein sollte. Wir besuchen deshalb erst mal den kleinen Supermarkt und besorgen ein zweites Frühstück. Die Verkäuferin kennt den Radlladen und schickt uns zur Garage nebenan. Dort klopfe ich ans Tor und tatsächlich, es öffnet sich eine Tür und eine größere Menge an Fahrrädern wird sichtbar.
Die Verständigung mit dem älteren Inhaber ist durchaus schwierig. Ersatz für meinen Hebel hat er nicht. Und eine Bremse von einem seiner Räder abschrauben und bei mir zu montieren, scheint nicht in seinem Interesse. Aber er beginnt zu telefonieren und drückt mir dieses dann ans Ohr. Angeblich gibt es etwas abgelegen noch eine Radwerkstatt. Vielleicht könnte mir dort geholfen werden. Das Gespräch ist etwas verwirrend: Irgendwas mit Garantie (nach 8 Jahren?), aber Magura hätten sie eigentlich nicht, dafür gäbe es Shimano. Klingt alles nicht sehr vielversprechend.
Fahrradwerkstatt mit Aussicht |
Um diese dubiose Werkstatt zu finden, bekommen wir einen Standort aufs Telefon geschickt. Das Ziel ist nicht nur abseits unserer Route, es ist auch 400 hm den Berg hinauf. Aber was wäre die Alternative? Weiter ins 25 km entfernte Aosta, mit ungewissem Ausgang? Jeder Strohhalm wird genutzt und so verlassen wir in Villneuve (660 m) die SS26 und treten geschwind die kleine Straße hinauf. Ohne Kartenpöppel wäre das Ziel wirklich nicht zu finden gewesen. Und auch so, können wir kaum glauben, dass wir richtig sind. Völlig ab vom Schuss stehen wir am Rande einer Siedlung vor einem großen Haus. Von Rädern keine Spur. Nur die Aussicht auf das Aostatal ist toll.
7,5kg Fully |
Schraubergott :) |
Nach einem erneuten Anruf kommt ein jüngerer Kerl aus dem Haus, begrüßt uns und macht den Rollladen an einer Garage auf. Was dort zum Vorschein kommt, verschlägt uns fast die Sprache. Eine vollausgestattete Werkstatt und eine Sammlung hochwertigster Moutainbikes der eigenen Marke RDR. Die vollgefederten Exemplare wiegen gerade mal 7,5 kg und sind ab 14.000 € erhältlich. Ich muss mehrmals hinschauen, ob an den Rädern nicht irgendwas fehlt. Und es wird noch besser. Der Schrauber schaut sich mein Problem an, verschwindet kurz in seinem Lager und kommt gut gelaunt mit einem aktuellen Bremshebel für eine MT 6 zurück. Ich kann mein Glück kaum fassen. Die beiden Bremsen unterscheiden sich optisch zwar, aber ich hätte auch eine Rücktrittbremse akzeptiert. Es kann weiter gehen!
Bustransfer ins Val di Rhêmes |
Auffahrt zur Rifugio Benevolo (2280m) |
Auffahrt zur Rifugio Benevolo (2280m) |
Zurück in Villeneuve checken wir den Busfahrplan. Wir haben doch viel Zeit gelassen und das Etappenziel ist noch gut 1600 hm entfernt. Das ist etwas viel für den Nachmittag. Bei der Planung der Tour waren die Abfahrtszeiten unpassend, das hat sich durch unsere Extrarunde geändert. Es bleibt sogar noch Zeit für einen kleinen Mittagsimbiss. Dann schaufelt uns der Bus ins knapp 20 km entfernte Rhêmes-Notre-Dame (1730 m). Wir sind ganz froh, nicht mit den Rädern auf der kleinen engen Straße unterwegs zu sein.
Auffahrt zur Rifugio Benevolo (2280m) |
Feierabend in der Rifugio Benevolo (2280m) |
Abendlicher Blick nach Norden zum Gran Combin |
Die letzten 600 hm müssen die Beine noch mal ran. Viel zu tun hatten sie heute sowieso noch nicht. Über eine eher langweile aber gut fahrbare Piste erreichen wir so tatsächlich sehr zeitig das vorreservierte Tagesziel Rifugio Benevolo (2280 m). Schon die zweite Hüttenübernachtung hintereinander, und das in Coronazeiten. Aber auch hier haben wir ein wahrhaft winziges Lager für uns zwei. Die Hütte ist schön gelegen und bietet viel Aussicht. Nach Norden kann man das Val di Rhêmes entlang schauen über das Aostatal hinweg bis zum Grand Combin (4314 m) im Wallis. Nach Süden bildet eine Gruppe zahlreicher 3000er den Talschluss. Morgen wird sich zeigen, ob wir in dieser Höhe weiterkommen.